Mira, Aiki - Denial of Service

   Aiki Mira, eine mehrfach preisgekrönte Autorin, entwirft in Denial of Service das Bild einer nahen Zukunft, die ebenso faszinierend wie beunruhigend wirkt. In dieser Welt ist fast alles privatisiert: Polizei, Stadtverwaltung, sogar grundlegende Infrastruktur. Das öffentliche Leben wird von einem neuronalen Netz gesteuert, das die KI reguliert – eine technologische Vision, die zugleich Fortschritt und Kontrollverlust bedeutet.

Der Roman sprüht vor originellen Ideen und überraschenden Details. Mira gelingt es, eine Welt zu erschaffen, die dicht, futuristisch und glaubwürdig wirkt. Wer Freude an innovativen Science-Fiction-Konzepten hat, findet hier eine Fülle an Gedankenexperimenten, die von Künstlicher Intelligenz über Datensouveränität bis zu gesellschaftlichen Machtstrukturen reichen.

Allerdings kann gerade diese Ideenvielfalt den Lesefluss erheblich beeinträchtigen. Es gibt so viele neue Begriffe, technische Details und futuristische Fachausdrücke, dass man als Leser überfordert sein kann.

Stilistisch blieb mir der Text auch fern. Die Erzählweise wirkt sprunghaft, die Sätze oft kurz und abgehackt, wodurch sich kaum ein Lesefluss einstellen wollte. Emotional konnte mich die Geschichte daher nicht erreichen – vieles blieb für mich abstrakt und intellektuell, aber selten berührend.

Als dann noch das Gendern hinzukam, empfand ich den Text als zusätzlich sperrig. Das Thema wurde in der Literatur der letzten Jahre ausreichend behandelt, und wirkt überstrapaziert.

Denial of Service ist kein Buch für ein breites Publikum, sondern eher für Leser, die Lust auf Experimente, sprachliche Innovation und komplexe Zukunftsvisionen haben. Wer bereit ist, sich auf eine herausfordernde, teils schwer zugängliche Welt einzulassen, wird hier zweifellos mit interessanten Ideen belohnt.

Follett, Ken -  Stonehenge - Die Kathedrale der Zeit

 Ken Follett hat mit Stonehenge– Die Kathedrale der Zeit erneut ein beeindruckendes Werk geschaffen, das weit über einen gewöhnlichen historischen Roman hinausgeht. Diesmal entführt er seine Leserinnen und Leser in eine Zeit, die rund 2500 Jahre vor Christus liegt – eine Epoche, die er mit großer Fantasie, Detailfreude und erzählerischem Geschick zum Leben erweckt.

In dieser fernen Vergangenheit begegnen wir verschiedenen Völkern: einem Hirtenvolk, einem Bauernvolk, den Waldmenschen und den Feuersteinherstellern. Jeder dieser Stämme hat seine eigene Kultur, seine eigenen Lebensweisen und Konflikte. Besonders faszinierend ist, wie Follett es schafft, die Perspektiven mehrerer Protagonisten miteinander zu verweben. Man begleitet sie über lange Zeiträume hinweg, erlebt ihre persönlichen Schicksale, ihre Beziehungen und Entwicklungen – und sieht dabei, wie sich die Welt allmählich verändert.

Im Kern dreht sich die Geschichte um den Bau des „Stonehenge“ – eines monumentalen Projekts, das in gewisser Weise an die Kathedralenbauten erinnert, die Folletts frühere Werke geprägt haben. Auch wenn dieser Aspekt historisch vielleicht nicht völlig glaubwürdig wirkt, ist er ungemein spannend und unterhaltsam umgesetzt. Die Idee dahinter ist originell und regt zum Nachdenken an: über Ehrgeiz, Gemeinschaft und die Anfänge menschlicher Zivilisation.

Besonders hervorzuheben ist Folletts Sprache. Sie ist bewusst einfach gehalten, was hervorragend zur dargestellten Epoche passt. Gerade diese Schlichtheit trägt dazu bei, das Leben der damaligen Menschen authentisch widerzuspiegeln – voller Mühsal, aber auch voller Entdeckungen und Emotionen. 

Mir persönlich hat Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit außerordentlich gut gefallen. Es ist ein umfangreicher, mitreißender Roman, der eine faszinierende Welt eröffnet und durch seine vielen Figuren und Handlungsstränge nie an Spannung verliert. Ich hätte gerne noch weitergelesen – und würde dieses Buch jedem empfehlen, der historische Romane liebt oder einfach in eine andere Zeit eintauchen möchte.

Rekulak, Jason -  Schlafenszeit – Albträume erwachen, wenn diese Tür sich schließt


In Schlafenszeit erzählt Jason Rekulak die Geschichte von Mallory, einer jungen Frau mit schwieriger Vergangenheit. Nach Jahren der Drogen- und Medikamentenabhängigkeit ist sie nun seit 20 Monaten clean und versucht, ihr Leben neu zu ordnen. Durch eine glückliche Fügung findet sie eine Stelle als Kindermädchen bei einer sympathischen Familie – Caroline und Ted – und kümmert sich um ihren fünfjährigen Sohn Teddy.

Was zunächst wie ein Neuanfang aussieht, entwickelt sich bald zu einem unheimlichen Erlebnis. Teddy beginnt, verstörende und düstere Bilder zu malen, die eine bedrohliche Atmosphäre schaffen. Mallory bemerkt außerdem, dass der Junge in seinem Zimmer mit jemandem zu sprechen scheint, den niemand sehen kann. Die Stimmung wird zunehmend beklemmend, und Mallory ist entschlossen, herauszufinden, was hinter dem seltsamen Verhalten steckt. Sie vermutet, dass ein Geist dahintersteckt – und je mehr sie nachforscht, desto gefährlicher wird die Situation.

Der Roman ist ein mysteriöser Thriller mit subtilem Spannungsaufbau. Rekulak schafft es, die düstere, beinahe übernatürliche Stimmung greifbar zu machen, ohne auf übertriebene Schockmomente zu setzen. Besonders gelungen ist die Figur der Mallory – man spürt ihre Angst, aber auch ihre Stärke. Als Leser entwickelt man schnell Empathie sowohl für sie als auch für Teddy.

Die Sprache ist lebendig und flüssig, das Erzähltempo angenehm, und es gibt immer wieder unerwartete Wendungen, die das Interesse hochhalten. Besonders die unheimlichen Zeichnungen verleihen der Geschichte eine besondere Tiefe und sorgen für Gänsehaut-Momente.

Insgesamt ist Schlafenszeit ein spannender und atmosphärischer Thriller, der durch seine psychologische Intensität überzeugt. Eine fesselnde Mischung aus Mystery, Emotion und unterschwelligem Horror – sehr unterhaltsam.

Thomas, Angie -  The Hate U Give

  Der Roman The Hate U Give von Angie Thomas behandelt hochaktuelle Themen wie Rassismus, Diskriminierung und gesellschaftliche Ungerechtigkeit. Im Mittelpunkt steht Starr Carter, ein junges schwarzes Mädchen, das zwischen zwei Welten lebt: Zum einen wächst sie in einem von Armut, Gewalt und Drogen geprägten Viertel auf, in dem die Unsicherheit zum Alltag gehört. Zum anderen schicken ihre Eltern sie auf eine weiße Privatschule, um ihr bessere Chancen zu ermöglichen – dort ist sie eine der wenigen Schwarzen und fühlt sich oft fremd und hin- und hergerissen.

Diese innere Zerrissenheit wird besonders deutlich, als Starr einen traumatischen Schicksalsschlag erlebt: Bei einer Polizeikontrolle wird ihr enger Freund Khalil ohne erkennbaren Grund von einem Polizisten erschossen – und sie ist Augenzeugin. Dieses Erlebnis verändert ihr Leben komplett. Lange ringt sie mit ihrer Angst und Sprachlosigkeit, bis sie schließlich die Kraft findet, ihre Stimme zu erheben und gegen Rassismus und Ungerechtigkeit einzutreten.

Angie Thomas gelingt es, eine authentische und bewegende Geschichte zu erzählen, die nicht nur die persönlichen Konflikte einer Jugendlichen zeigt, sondern auch die strukturellen Probleme unserer Gesellschaft. Besonders eindrücklich ist die Darstellung der Sprachlosigkeit und der Angst, aber auch der langsame Weg hin zum Widerstand.

Sprachlich wirkt der Roman stellenweise etwas langatmig, und hat ruhige, nachdenkliche Passagen. Insgesamt ist The Hate U Give eine kraftvolle und wichtige Lektüre, die Fragen aufwirft und zum Nachdenken über Rassismus und Gleichberechtigung anregt.

 Fitzek, Sebastian - Mimik

 

Sebastian Fitzek hat mit Mimik erneut einen Psychothriller geschaffen, der mich von der ersten Seite an gepackt hat. Im Zentrum steht Hanna Herbst, eine brillante Expertin für Körpersprache und Mimik, die sonst für die Polizei Lügen entlarvt. Doch diesmal wird sie selbst zur Verdächtigen: Sie gesteht, ihren Mann und ihre Tochter ermordet zu haben – und kann sich zugleich an nichts erinnern.

Diese Ausgangslage ist ebenso faszinierend wie bedrückend. Hanna, die andere immer so scharf analysieren konnte, ist plötzlich Opfer ihrer eigenen Erinnerungslücken. Durch eine seltene Unverträglichkeit gegenüber Narkosemitteln leidet sie an Amnesie und weiß nicht, was in den letzten Tagen geschehen ist. Die Frage, ob sie wirklich schuldig ist oder einer perfiden Manipulation zum Opfer fiel, treibt die Handlung mit enormem Tempo voran.

Fitzek versteht es meisterhaft, Spannungsschrauben immer weiter anzuziehen. Kaum glaubt man, eine Spur gefunden zu haben, reißt er den Boden wieder unter den Füßen weg. Die psychologische Tiefe, Hannas Verzweiflung und die immer neue Wendungen haben mich dazu gebracht, das Buch fast in einem Rutsch zu lesen. Langeweile kommt hier wirklich nicht auf.

Besonders gelungen fand ich die Mischung aus Fachwissen über Mimik und Körpersprache, die elegant in die Handlung eingeflochten wird, und dem menschlichen Drama um Schuld, Identität und Wahrheit. Das Ende schließlich ist so schockierend und überraschend, dass man es fast nicht glauben kann – und doch fügt es sich genial in die Geschichte ein.

Mimik ist ein hochspannender Thriller mit Sogwirkung, der mich durch seine überraschenden Wendungen und die intensive Figurenzeichnung begeistert hat. Fitzek beweist hier einmal mehr, warum er zu den erfolgreichsten Thrillerautoren Deutschlands gehört. Absolute Leseempfehlung für alle, die Nervenkitzel bis zur letzten Seite suchen

 Grün, Anselm - Widerstehen und Wachsen 

  Anselm Grün legt mit Widerstehen und Wachsen einen spirituellen Ratgeber vor, der sich den „Dämonen“ unserer Zeit widmet – nicht als Individuen, sondern als Kräfte, die unser Leben und unsere Gesellschaft beeinflussen. Besonders positiv habe ich erlebt, dass das Buch nicht nur Missstände aufzeigt, sondern konsequent die Fähigkeit zur Resilienz stärken möchte. Es geht darum, trotz Widrigkeiten innerlich stabil zu bleiben, sich wohlzufühlen, Dankbarkeit zu üben und immer wieder die Kunst des Aufrichtens einzuüben. Widerstand wird hier nicht als Kampf voller Zorn verstanden, sondern als Haltung, die von Liebe, Gelassenheit und Hoffnung geprägt ist.

Grün zeigt dabei eindrücklich, dass Resilienz nicht nur eine psychologische Kategorie ist, sondern tief spirituell verwurzelt werden kann. Er benennt die „modernen Dämonen“ – wie Zorn, Spaltung, überbordende Kommunikation oder den allgegenwärtigen Leistungsdruck. Es sind keine Einzelfiguren, sondern Kräfte, die in unser Leben hineinwirken und uns schwächen können. Gerade diese Sichtweise macht sein Buch besonders, weil sie das Persönliche mit dem Gesellschaftlichen verknüpft.

Was mir sehr gefallen hat, ist die Vielfalt an Vorschlägen, wie man inneren Widerstand aufbauen kann: etwa durch Achtsamkeit im Umgang mit Medien, durch bewusstes Begrenzen des Egos, durch die Pflege von Mitgefühl und durch die Haltung der Dankbarkeit. Auch wenn nicht alle Gedanken neu sind – manches kennt man aus anderen spirituellen oder psychologischen Ratgebern –, bietet Grün wertvolle Impulse, die den Leser ermutigen, im Alltag kleine Schritte zu gehen und sich den negativen Einflüssen nicht einfach hinzugeben.

Sein Ton bleibt durchgehend ermutigend: kein moralischer Zeigefinger, sondern ein  hoffnungsvoller Blick nach vorne. Genau das macht das Buch zu einem Begleiter, den man gerne zur Hand nimmt. Für mich war es ein schönes und hilfreiches Buch, das ich gerne weiterempfehlen würde – gerade, weil es aufzeigt, dass Widerstand und Wachstum Hand in Hand gehen können.

 Bradley, Kimberly Brubaker - Über mir der weite Himmel 

  Über mir der weite Himmel hat mich tief berührt – nicht nur, weil es eine spannende Geschichte erzählt, sondern weil es so eindringlich zeigt, wie ein junges Mädchen trotz aller Verletzungen und Unsicherheiten neue Wege ins Leben findet.

Wir begegnen wieder der elfjährigen Ada, die wir schon aus dem ersten Band kennen. 1943 lebt sie mit ihrem Bruder Jamie auf dem Land bei ihrer Pflegemutter Susan. Doch Ada hat in ihrem bisherigen Leben kaum Liebe erfahren, und so fällt es ihr schwer, Zuneigung überhaupt zu spüren oder gar zu vertrauen. Diese Kluft macht das Buch so bewegend: Wir sehen ein Kind, das eigentlich geliebt wird, das diese Wärme aber kaum zulassen kann, weil die alten Wunden noch so tief sind.

Gerade diese Feinfühligkeit im Erzählen hat mich beeindruckt. Kimberly Brubaker Bradley schafft es, die großen Themen – Trauma, Verlust, Resilienz – so klar in die kindliche Perspektive zu legen, dass man Ada sofort nah ist. Es geht nicht nur um den Krieg als Hintergrund, sondern um den inneren Kampf eines Mädchens, das lernen muss, aus der Welt der Unsicherheiten und Trauer herauszutreten. Die Menschen um sie herum – Susan, aber auch andere Wegbegleiter – helfen ihr dabei Schritt für Schritt. Es ist ein Roman darüber, wie Beziehungen heilen können, selbst wenn man lange nicht daran glaubt.

Die Emotionalität ist kaum zu übersehen: Ich habe beim Lesen oft mit Ada mitgefühlt – ihren Zorn, ihre Angst, ihre zaghaften Hoffnungen. Und zugleich ist die Geschichte durchdrungen von einer stillen Hoffnung und Stärke.

Über mir der weite Himmel ist ein ergreifendes, eindringliches Buch, das lange nachhallt. Es erzählt von der Kraft, sich immer wieder aufzurichten, auch wenn man an sich selbst zweifelt. Ich empfehle es nicht nur Kindern, sondern ganz besonders auch erwachsenen Lesern die sich von einer Geschichte voller Schmerz, Hoffnung und Lebensmut berühren lassen wollen.

 Bacigalupi, Paolo - Navola

  Paolo Bacigalupi entwirft in Navola ein prunkvolles Setting, das von Handel, Macht und Intrigen bestimmt wird. Die mächtige Bankiersfamilie di Regulai steht im Zentrum des Geschehens, allen voran der Erbe Davico, der zwischen Verantwortung, politischen Spielen und den Erwartungen seines Vaters zerrieben zu werden droht. Hinzu kommt ein geheimnisvolles Artefakt, das Drachenauge, das eine mystische Dimension in die Handlung einbringt.

Die größte Stärke des Romans liegt für mich eindeutig in den Intrigen und Machtspielen. Bacigalupi gelingt es, die politischen Verwicklungen einer Stadt darzustellen, voller List, Betrug und taktischen Manövern. Gerade die vielen Wendungen haben mich fasziniert: immer, wenn man dachte, den nächsten Schritt der Figuren zu kennen, änderte sich das Spiel und eröffnete neue Perspektiven. Diese Spannung, die aus den Machtkämpfen entsteht, hat den Roman für mich getragen.

Die magischen Elemente, insbesondere das Drachenauge, waren für mich weniger interessant. Sie wirkten wie ein zusätzliches Stilmittel, das die Geschichte zwar bereichern sollte, aber für meinen Lesegeschmack nicht so fesselnd war wie die politischen Aspekte. Außerdem ist das Buch extrem detailreich – Bacigalupi beschreibt minutiös Politik, Gesellschaft, Schauplätze und Figuren. Das ist handwerklich beeindruckend, wirkte für mich aber stellenweise zu ausschweifend. Ich hätte mir eine straffere Erzählweise gewünscht. Das verlangsamte Tempo machte die Lektüre anstrengend, und man braucht tatsächlich viel Geduld, um sich durch die über 800 Seiten zu arbeiten.

Navola ist ein intensiver Fantasyroman, der mit seiner dichten Atmosphäre, den vielen Wendungen und vor allem den politischen Intrigen glänzt. Wer Freude daran hat, sich in eine komplexe Welt voller Machtspiele hineinzudenken, wird reich belohnt. Wer aber eine temporeiche Fantasy-Geschichte mit stärkerem Fokus auf Abenteuer oder Magie erwartet, wird hier eher weniger glücklich.

 Stadsbjerg, Caroline - Carnivora

  Caroline Stadsbjergs Roman Carnivora entwirft eine dystopische Zukunft, in der Tiere ausgestorben sind und die Menschheit eine verstörende Alternative gefunden hat: Für die Fleischproduktion wird eine menschenähnliche Spezies, der Homo cibus, gezüchtet – nicht als Individuum, sondern als Ware. Im Zentrum steht Hannah, eine scheinbar gewöhnliche Frau, die in ihrem Alltag plötzlich mit den brutalen Mechanismen dieser Gesellschaft konfrontiert wird. Als Schülerinnen verschwinden und die grausame Normalität immer brüchiger wird, muss sie Stellung beziehen.

Der thematische Schwerpunkt liegt klar auf der Ethik des Konsums. Die Parallele zur realen Tierindustrie ist dabei offensichtlich – und gerade in dieser Zuspitzung liegt die große Stärke des Buches. Auch Fragen nach Menschlichkeit, Empathie und Schuld ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung.

Mich persönlich hat das Thema regelrecht geschockt. Die Vorstellung, menschenähnliche Wesen wie Nutztiere zu behandeln, ist grausam und gruselig zugleich. Genau diese Bildhaftigkeit, die Stadsbjerg in oft nüchterner, fast klinischer Sprache schildert, verstärkt den Effekt. Die Kälte der Sprache kontrastiert mit dem Grauen der Bilder – und gerade dadurch bleibt die Lektüre so eindringlich.

Das Buch hat unbestreitbare Stärken:
Die klare, präzise Sprache, die schonungslos wirkt.
Die konsequente Gesellschaftskritik, die weit über die Fiktion hinausreicht.
Die Fähigkeit, die Leser nicht loszulassen, sondern zu verstören und zum Nachdenken zu zwingen.

Für mich war Carnivora ein schwer verdauliches, aber absolut notwendiges Buch. Es ist unbequem, es schockiert – und gerade deshalb entfaltet es seine Wirkung. Es gehört zu den Geschichten, die man nicht einfach zuschlägt und vergisst, sondern die nachhallen und zu einer Auseinandersetzung zwingen, die über das Lesen hinausgeht.

 Lechner, Martin - Die Verwilderung

  Martin Lechners neuer Roman Die Verwilderung hat mich beim Lesen lecht verstört. Erzählt wird die Geschichte der jungen Marlies, die kurz vor dem Abitur steht und den Sommer bei ihrer Großmutter verbringen soll. Eigentlich soll sie herausfinden, ob sie das Haus erbt – doch viel entscheidender ist, dass sich ihre linke Hand in etwas Unheimliches verwandelt: eine Klaue, die nicht mehr zu ihr passt und sie zugleich definiert. Schon in dieser Grundidee steckt die ganze Kraft des Romans: das Groteske als Metapher für das Außenseitertum, für Scham und für die schmerzhafte Selbstwahrnehmung einer Heranwachsenden.

Sehr stark fand ich die Szenen mit der Großmutter. Hier prallen Generationen aufeinander: Lebensweisheit und Skurrilität, Härte und Wärme. Gerade dieser Generationskonflikt trägt viel dazu bei, dass der Roman nicht nur eine persönliche Geschichte bleibt, sondern auch gesellschaftliche Fragen aufwirft.

Ein zentrales Thema ist die Scham: Marlies schämt sich für ihre Noten, ihre Unsicherheit, ihre Klaue. Lechner beschreibt eindrücklich, wie Scham das Selbstbild deformieren kann.
 Lechner schreibt bildreich, manchmal fast überbordend. Er hat eine Lust an Metaphern, die die groteske Grundidee noch stärker wirken lässt. Seine Sprache wirkt dicht, und manchmal poetisch. An einigen Stellen verliert sich der Text in sprachlichen Schleifen, die die Handlung ins Stocken bringen.

Das führt auch zu einer Schwäche des Romans: Nicht alles ist immer stimmig. Manche surrealen Wendungen wirken überzogen, manche Szenen dehnen sich zu sehr. Wer einen klaren, linearen Erzählstrang erwartet, wird hier vermutlich ungeduldig.

Es ist ein Coming-of-Age-Roman, aber keiner der leichten Sorte. Er erzählt von Außenseitertum, Scham, Generationenkonflikten und dem mühsamen Weg zur Selbstakzeptanz.