Dröscher, Daniela - Lügen über meine Mutter
Ein Highlight für mich: 5 Sterne. Ich habe
jetzt alle, bis auf eins, Bücher von der Shortlist des Deutschen Preis
2022 gelesen. Und für mich hätte definitiv "Die Lügen über meine Mutter"
gewinnen sollen.
Über die Autorin: /Amazon
Daniela
Dröscher, Jahrgang 1977, aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, lebt in
Berlin. Sie schreibt Prosa, Essays und Theatertexte. Studium der
Germanistik, Philosophie und Anglistik in Trier und London, Promotion im
Fach Medienwissenschaft an der Universität Potsdam sowie ein Diplom in
»Szenischem Schreiben« an der Universität Graz.
Kurzbeschreibung: / Amazon
Daniela
Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema
alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne,
eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen?
Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem
ausgesetzt, Tag für Tag.
Meine Meinung:
Die
Geschichte einer deutschen Familie ist in den 80er Jahren angesiedelt.
Die Erzählerin der Geschichte ist ein Kind, die Tochter, die etwa mit 6
Jahren über ihre Familie Gedanken zu machen und zu berichten beginnt.
Die Familie ist von München in das Heimatdorf des Vaters gezogen, wobei
schon hier unterschiedliche Wünsche und Vorlieben der Eheleute deutlich
werden. Das Grundthema des Romans ist die Frage nach Geschlechterrollen
in einer Familie, in der Gesellschaft. Das Familienoberhaupt sieht sich
als uneingeschränkter Herr der Familie und seine Ehefrau hat es seinen
Ansprüchen zu genügen. Ohne jeden Zweifel gehört es zu ihren Aufgaben:
Kindererziehung, Kinderbetreuung, Haushalt und nicht zu vergessen, sie
muss für den Mann in der Gesellschaft vorzeigbar sein, eine gute Figur
machen. Im Fall der Dröschers Geschichte muss sie allerdings noch
arbeiten gehen, da das Einkommen des Ehemannes nicht ausreicht. All das
verlangt der Ehegatte ohne jeden Zweifel an seinen Rechten.
Wie
ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte die Unzufriedenheit des
Mannes mit dem Gewicht seiner Frau. Ständig kontrolliert er ihr
Gewicht, besteht darauf, dass sie unzählige Diäten macht, erniedrigt sie
mit seinen Kommentaren und Vergleichen.
Es geht um nichts anderes als psychische Gewalt in der Familie.
Was
jedoch erschrecken ist, ist die Tatsache, dass der Autorin ein absolut
realistisches Buch gelungen ist. Bis in die heutigen Jahre zieht sich so
ein Verhalten bei manchen Männern und Unsicherheiten der Frauen hin.
Schonungslos berichtet die Autorin, wie solche subtile und permanente
Gewalt eine Seele verändern kann. Welchen Schaden so ein Verhalten
einrichtet.
Sehr interessant ist auch die sprachliche
Umsetzung des Romans. Es wird in zwei Strängen erzählt. In einem
berichtet die Tochter über die Geschehnisse in der Familie, über die
Gefühle und Stimmungen, die dort herrschen. In einem anderen Strang
setzt sich die erwachsene Tochter mit der Vergangenheit auseinander,
befragt ihre Mutter und sucht nach der Wurzel des Übels. Weitere
Besonderheit der Erzählung ist die Hervorhebung bestimmter Begriffe, die
kursiv gedrückt wurden, als typische Ausdrucksweise der Erwachsenen,
die ein Kind nicht gleich einordnen kann. Ein sehr kluger Roman, der
viele Gefühle hervorruft, und dem man im Großen und Ganzen sein
Einverständnis geben muss.
Die Geschichte ist real und
könnte sich genauso zugetragen haben. "Die Lügen über meine Mutter",
erzählt die ganze Wahrheit. Es wird nicht nur ein Drama in einem
x-beliebigen Fall aufgezeichnet, sondern auch eine Beschreibung und
Zeugnis der sozialen und gesellschaftlichen Geschichte.
Hervorragender Roman, den ich uneingeschränkt weiterempfehlen würde.
Für
mich gilt jetzt nach weiteren Romanen der Autorin zu suchen. Daniela
Dröscher ist eine sehr gute Erzählerin: intelligent und unterhaltsam.
Ich
hoffe, man merkt es meiner Rezension an, dass ich diesen Roman mit
großem Vergnügen gelesen habe und würde mir ganz viele Leser für diese
Geschichte wünschen.