Sarah Jollien-Fardel - Lieblingstochter

Über die Autorin:

Sarah Jollien-Fardel wurde 1971 geboren und wuchs in einem Dorf im Wallis auf. Sie lebte mehrere Jahre in Lausanne, bevor sie sich mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen wieder in ihrem Heimatkanton niederließ. Sie ist Chefredakteurin des Buchhändlermagazins Aimer lire. "Lieblingstochter" ist ihr erster Roman, der u.a. mit dem Prix du Roman Fnac und dem Choix Goncourt de la Suisse 2022 ausgezeichnet wurde.

Kurzbeschreibung:

Sarah Jollien-Fardel erzählt die Geschichte einer Befreiung, die unter die Haut geht: In den Walliser Bergen wächst die kleine Jeanne mit einem gewalttätigen Vater, einer verängstigten Mutter und der eingeschüchterten Schwester auf. Alle im Dorf wissen von der willkürlichen Brutalität des Vaters, alle schauen weg. Jeanne flüchtet in ihre Phantasie, in die Welt der Bücher und später ins Internat. Sie errichtet einen Schutzwall, der sie am Leben hält. Als junge Frau sucht Jeanne die körperliche Nähe von anderen Frauen. Mit jeder Begegnung rückt der Vater ein Stück weiter weg. Doch dann verliebt sich Jeanne in Paul, und sie muss sich entscheiden.

Meine Gedanken zu dem Roman:

In dieser Geschichte geht es um Gewalt, um die Flucht und Neuanfang. Jeanne, die Hauptprotagonistin des Romans, lebt mit ihrer Mutter, Schwester und Vater in einem kleinen Ort in den Bergen. Dass jeder jeden kennt, betont die Autorin, ist ein wichtiger Bestandteil dieser Geschichte. Die Familie des Mädchens ist unglücklich, denn die alle werden von einem gewalttätigen, alkoholsüchtigen Vater tyrannisiert und missbraucht. Die Mutter der Mädchen findet keinen Ausweg und so bleiben alle zusammen bis die Mädchen erwachsen genug sind, um allein zu leben. Von klein auf versucht die Jeanne sich zu befreien, nicht nur von Gewalt des Vaters, sondern auch von ihren psychischen Problemen, die unweigerlich das Erwachsenwerden und Erwachsensein als Folgen der Kindheit begleitet. Auch wenn die Vermutung nahe liegt, dass dies eine wahre Geschichte ist, so betont die Autorin, dem sei es nicht so.

Mit einer Klarheit und Nüchternheit berichtet die Autorin über das Martyrium der Frauen in dieser Familie. Ohne auch ansatzweise irgendwas zu beschönigen, beschreibt die Autorin die Gewalt, die die Familie erleidet. Viele Sätze prägen sich durch die Kälte, Emotionslosigkeit, reine Beschreibung der Tatsachen dem Leser ein. Doch diese Distanziertheit der Schriftstellerin trägt dazu bei, dass die Geschehnisse um so schlimmer auf den Leser wirken. Die Gefühlswelt und die Emotionen der Betroffenen werden nicht übermäßig in Vordergrund gerückt, und dennoch haben die Gefühle der Mädchen, die Auswirkungen ihrer Kindheit, eine starke Wirkung. Die Autorin beschreibt das Leben der Familie, ohne diese zu werten. Dies wird dem Leser überlassen.

Für die Leser von kurzen, intensiven Romanen ist dieses Debüt sehr zu empfehlen. Ein trauriges, dramatisches und eindringliches Buch, das ich mit 4 Sternen bewerte.


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