Lawhon, Ariel - Der gefrorene Fluss
Der Roman Der gefrorene Fluss spielt im Maine des späten 18. Jahrhunderts
und basiert lose auf einer historischen Figur. Im Mittelpunkt steht
Martha Ballard, eine Hebamme, die im Winter 1789 mit einem rätselhaften
Todesfall konfrontiert wird. Ein Mann wird tot im gefrorenen Fluss
gefunden – offiziell gilt sein Tod als Unfall. Doch Martha, die durch
ihre Arbeit tiefe Einblicke in das Leben und die Geheimnisse der
Dorfgemeinschaft hat, beginnt zu zweifeln. Während sie weiterhin Kinder
zur Welt bringt und Frauen unterstützt, deckt sie Stück für Stück ein
Netz aus Lügen, Machtmissbrauch und unterdrückten Wahrheiten auf.
Ariel
Lawhon gelingt mit Der gefrorene Fluss ein atmosphärisch dichter
historischer Roman, der besonders durch seine starke Hauptfigur
überzeugt. Martha Ballard ist eine bemerkenswert moderne, kluge und
mutige Frau, deren scharfer Blick für Ungerechtigkeiten den Roman trägt.
Ihre Rolle als Hebamme verleiht der Geschichte eine besondere Tiefe, da
sie sowohl körperliche als auch gesellschaftliche Verletzlichkeit
hautnah erlebt. Der frostige Winter Maines bildet eine eindrucksvolle
Kulisse, die die emotionale Kälte und die Starrheit der damaligen
Gesellschaft widerspiegelt.
Sprachlich ist der Roman ruhig,
detailreich und sehr bildhaft erzählt. Besonders gelungen ist die
Verknüpfung von historischen Fakten mit einer spannenden, wenn auch
leisen Kriminalhandlung. Statt reißerischer Wendungen setzt Lawhon auf
psychologische Spannung und moralische Fragen – etwa nach Wahrheit,
Gerechtigkeit und der Rolle von Frauen in einer von Männern dominierten
Welt.
Trotz der starken Atmosphäre nimmt sich der Roman viel
Zeit für Alltagsbeschreibungen, was das Erzähltempo stellenweise
deutlich verlangsamt. Leserinnen und Leser, die eine klassische
Kriminalgeschichte mit hohem Spannungsbogen erwarten, könnten den Plot
als zu zurückhaltend empfinden. Stellenweise fühlte sich der Roman als
eine Abhandlung von Ereignissen. Zudem bleiben einige Nebenfiguren eher
skizzenhaft und hätten mehr Tiefe verdient, um die sozialen Konflikte
noch stärker herauszuarbeiten.
Der gefrorene Fluss ist ein
feinfühliger, kluger historischer Roman mit einer außergewöhnlichen
Protagonistin. Die Geschichte überzeugt mehr durch ihre Atmosphäre und
ihre gesellschaftlichen Themen als durch reine Spannung. Wer ruhige,
tiefgründige Romane mit historischem Hintergrund und starken
Frauenfiguren schätzt, wird dieses Buch sehr mögen – auch wenn es
gelegentlich Geduld verlangt.
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