Philipp Oehmke - Schönwald


Über den Autor:

Philipp Oehmke, geboren 1974, wuchs in Bonn auf, studierte Germanistik in Hamburg und war zwei Jahre lang Volontär bei der Zeitschrift Tempo. 2001 schloss er die Graduate School of Journalism der Columbia University mit einem Master of Science ab. Von 2002 bis 2006 war er Redakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung, wo er auch die 50-bändige Buchreihe SZ-Diskothek herausgab. 2006 wechselte er als Redakteur in das Kulturressort des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Von 2015 bis 2020 leitet Oehmke das New Yorker Büro des Nachrichtenmagazins, für das er heute aus Berlin als Autor tätig ist.

Oehmke ist Autor der Biografie Am Anfang war der Lärm über die Rockband Die Toten Hosen. Das Buch erschien 2014 und stand mehrere Wochen in der Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste.


Kurzbeschreibung:

Anders als Harry findet Ruth Schönwald nicht, dass jedes Gefühl artikuliert, jedes Problem thematisiert werden muss. Sie hätte Karriere machen können, verzichtete aber wegen der Kinder und zugunsten von Harry. Was sie an jenem Abend auf einem Ball ineinander gesehen haben, ist in den kommenden Jahrzehnten nicht immer beiden klar. Inzwischen sind ihre drei Kinder Chris, Karolin und Benni erwachsen. Als Karolin einen queeren Buchladen eröffnet, kommen alle in Berlin zusammen, selbst Chris, der Professor in New York ist und damit das, was Ruth sich immer erträumte. Dort bricht der alte Konflikt endgültig auf.

Meine Gedanken zu dem Roman:

Zunächst möchte ich sagen, dass ich "Schönwald" überraschend gut fand. Als ein großartiger Familienroman aus Deutschland der Gegenwart angekündigt, war ich mir nicht sicher, was mich erwarten würden. Als Leser ist man gewohnt eine Geschichte der Vergangenheit in Deutschland zu lesen, selten widmen sich die Autoren der Gegenwart zu, und wenn ja, gefielen mir von solchen Werken leider nur wenige. Anders bei "Schönwald" - voll und ganz überzeugt.

In dieser Geschichte widmet sich der Autor einer deutschen Familie der Gegenwart. Mutter, Vater, drei erwachsene Kinder, die schon ihre eigenen Wege gehen. Soweit so gut, doch die Charaktere sind einfach großartig. Da haben wir das Familienoberhaupt, über siebzig, der etwas verpeilt inzwischen durch das Leben geht, dabei war er als Oberstaatsanwalt tätig, aber jetzt eher zurückhaltend, da die Frau Mutter die Führung übernimmt, gutmütig und insgeheimen eine Psychotherapie machend, da die Ehe doch nicht so zufriedenstellend ist, wie er zeigt. Seine durchaus kluge Frau Ruth ist bemüht, all die Konflikte, die in dieser Familie auftreten, unter den Teppich zu kehren und kleinzureden, denn Aussehen der Familie ist extrem wichtig. Wie stünden die denn da, wenn die Menschen über die Schwierigkeiten und Nöte der Eltern und den Kindern wissen würden, was würden die Leute bloß sagen. Das Muster ist sicherlich vielen bekannt.

Aber kommen wir zu Kindern. Der Roman beginnt munter mit einer Episode aus Berlin-Kreuzberg. Hier kommen die herrlichen Anspielungen an die politische und gesellschaftliche Situation in Deutschland der Gegenwart. Die Tochter, oder lesbisch, oder nicht, muss sich noch entscheiden, bisher erfolglos in ihrem Leben, was seine Gründe hat, beschließt einen Buchladen zu eröffnen. Natürlich um den zeitgemäß zu gestalten, muss das Buchladen queer sein. Was eine unerwartete kleine Demonstration mit sich bringt...

Aber liest es selbst. Es ist köstlich. Die satirischen Anspielungen auf die moderne Gesellschaft sind scharf, zugespitzt, da die zum Teil zynisch gemeint sind, absolut gekonnt in die Szene gesetzt. Ich habe den Roman genossen.

In dieser dysfunktionalen Familie, oder vielleicht ganz normalen, wie viele anderen auch, sind noch zwei Prachtexemplare von Kindern zu erwähnen. Chris, ein ehemaliger Universitätsprofessor an der Columbia University, nun ein Podcast Sprecher für Trump, da es besser bezahlt wird und Benni, das Nesthäkchen der Familie, liiert mit einer Frau, die eine ausgeprägte Phobie gegen seiner Familie hat.

Amüsante Geschichte, die voller Dialoge, bemerkenswerte Wahrheiten, voller Psychologie ist und leider nicht immer komisch, denn dafür sind die gesellschaftlichen und politischen Fragen, die aufkommen, auch Schuldempfindungen der deutschen Vergangenheit gegenüber, die Rückblicke zu ernsthaft, vielleicht auch schmerzhaft und gewichtig.

Als Romanerzähler ist Philipp Oehmke ein Debütant, doch von seiner literarischen und erzählerischen Leistung ein großer Könner.

Ich habe den Roman als Hörbuch mit großem Vergnügen gehört.

Vorgetragen wurde das Buch von dem Autor selbst, was bei mir keine Wünsche offen lies. Dauer des Hörbuchs ist mit 17 Stunden etwas zu lang, doch unbedingt lesens- oder hörenswert.

Es gibt nur eine passende Bewertung für diese herausragend gute Unterhaltung. 5 Sterne.


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