Boyne, John - Cyril Avery
John Boyne erzählt in Cyril Avery die außergewöhnliche Lebensgeschichte
eines Mannes, die sich über sieben Jahrzehnte erstreckt und das
Schicksal einer ganzen Generation widerspiegelt. Von seiner unehelichen
Geburt in den 1940er Jahren im streng katholischen Irland bis zu seinem
hohen Alter entfaltet sich ein gewaltiger, emotionaler Roman über
Identität, Liebe, Schuld und gesellschaftliche Zwänge.
Im
Mittelpunkt steht Cyril Avery, der nicht wirklich „ein Avery“ ist – denn
seine Adoptiveltern betonen ständig, dass er nicht „wirklich
dazugehöre“. Schon als Kind spürt er seine Andersartigkeit, doch erst
als Jugendlicher wird ihm bewusst, dass er homosexuell ist – ein Makel
in der prüden und intoleranten irischen Gesellschaft jener Zeit. Boyne
begleitet Cyril durch die Jahrzehnte seines Lebens: seine Flucht ins
Ausland, seine Beziehungen, Verluste und Neuanfänge. Dabei zeichnet er
nicht nur das Porträt eines Einzelnen, sondern auch das Bild eines
Landes im Wandel.
Der Roman beeindruckt durch seine
erzählerische Weite und emotionale Tiefe. Boyne versteht es meisterhaft,
persönliche Tragödien mit gesellschaftlicher Kritik zu verbinden.
Besonders stark sind die Passagen, in denen die Anfeindungen und die
Ausgrenzung homosexueller Menschen gezeigt werden – brutal, realistisch
und gleichzeitig von großer Menschlichkeit getragen. Cyrils Leben ist
von Schmerz und Verlust geprägt, doch gerade in den stillen Momenten
blitzt immer wieder Hoffnung auf.
Was diesen Roman so besonders
macht, ist seine emotionale Wucht. Man leidet mit Cyril, man hofft mit
ihm, man weint mit ihm – mehr als einmal. Boyne schreibt klar und
zugleich gefühlvoll, mit feinem Humor und tiefem Mitgefühl für seine
Figuren. Trotz seiner Länge verliert der Roman nie an Spannung; man
möchte ihn nicht aus der Hand legen, weil er einen vollständig in seine
Welt hineinzieht.
Cyril Avery ist ein zutiefst bewegendes Werk,
das zeigt, wie eng das Persönliche und das Politische miteinander
verknüpft sind. Es ist eine Geschichte über Scham, Mut, Verlust, Liebe
und Vergebung – und über den langen Weg, man selbst zu werden in einer
Welt, die das lange nicht zuließ. Ein großartiger, intensiver Roman, der
noch lange nach dem letzten Satz nachklingt.
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