Haratischwili, Nino - Das mangelnde Licht

   Nino Haratischwili erzählt in Das mangelnde Licht von vier georgischen Frauen, die in den 1990er Jahren in Tiflis aufwachsen – einer Zeit des politischen Umbruchs, der Kriege und des gesellschaftlichen Zerfalls nach dem Ende der Sowjetunion. Jahrzehnte später treffen sie sich in Brüssel wieder, zu einer Fotoausstellung ihres verstorbenen Freundes, und erinnern sich an ihre Jugend, an verlorene Ideale, Freundschaften und die Gewalt, die sie geprägt hat.

Die Ich-Erzählerin Keto blickt zurück auf eine Generation, die zwischen der erstickenden Sowjetzeit und der chaotischen Freiheit danach aufgewachsen ist .
Haratischwili schreibt mit der ihr eigenen Intensität: ihre Sätze sind oft lang, aber präzise, voller sinnlicher Eindrücke und mitreißender Emotionen. Sie hat ein außergewöhnliches Gespür für Atmosphäre – man riecht förmlich den Staub der Straßen von Tiflis, hört die Radioansprachen, spürt die Angst in den Kellern während der Stromausfälle.

Wie schon in Das achte Leben (Für Brilka) verknüpft Haratischwili das Private mit dem Politischen. Sie zeichnet das postsowjetische Georgien nicht nur als Kulisse, sondern als tief verwundetes Land, dessen gesellschaftliche Umbrüche sich direkt in den Biografien der Figuren niederschlagen. Das gibt dem Roman eine historische
In diesem Roman scheint Haratischwili zu viel zu wollen. Der Roman trägt die Last von Historienepos, Coming-of-Age, politischem Zeitbild und Liebestragödie zugleich. Das ist beeindruckend ambitioniert, führt aber phasenweise zu überfülle. Manche Rückblenden oder Nebenfiguren verlieren sich im Verlauf und hemmen den Lesefluss.
Das pathetisch an dieser Geschichte, was typisch für Haratischwili ist, hat mir sehr gut gefallen. Fand ich passend zu dem Gesamtkonzept.

Nach dem monumentalen Achte Leben wirkt Das mangelnde Licht wie eine Variation des Bekannten: wieder starke Frauenfiguren, wieder Georgien, wieder das Spiel zwischen Erinnerung und Geschichte. Zwar bleibt die Erzählung eigenständig, aber die Parallelen sind unverkennbar. Wer Haratischwili schon kennt, hat das Gefühl, vertrautes Terrain zu betreten – mit weniger Überraschungen als erwartet.
Das mangelnde Licht ist ein kraftvoller, bildreicher Roman über Freundschaft, Verlust und die Frage, wie Erinnerung Identität formt. Nino Haratischwili gelingt es, das Schicksal einer Generation zu verdichten, die zwischen den Trümmern eines Landes nach Halt sucht.

Trotz gelegentlicher Überfrachtung und Pathos bleibt das Buch eine beeindruckende literarische Leistung – ein melancholischer Abgesang auf eine Jugend, die im Schatten der Geschichte stattfand.

Keine Kommentare: