Boyne, John - Die Geschichte der Einsamkeit
John Boyne wendet sich in Die Geschichte der Einsamkeit einem ernsten, historischen und moralisch aufgeladenen Thema zu: dem sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche in Irland. Dabei erzählt er nicht reißerisch, sondern leise, mit einer anfangs fast unscheinbaren Tragik, die sich erst nach und nach entfaltet.
Im Mittelpunkt steht Pater Odran Yates, ein gutmütiger, pflichtbewusster Priester, der seit seiner Jugend dem Glauben ergeben ist. Nach einer familiären Tragödie tritt er ins Priesterseminar ein – aus echter Überzeugung, aber auch, um der Trauer zu entfliehen. Jahrzehnte später blickt er auf sein Leben zurück und erkennt langsam, wie sehr er durch Schweigen, Wegsehen und Gehorsam Teil eines Systems geworden ist, das viel Leid zugelassen hat.
Boyne zeichnet dabei ein präzises Porträt eines Mannes, der an sich selbst scheitert, nicht aus Bosheit, sondern aus Angst vor Verantwortung. Gerade diese Ambivalenz macht den Roman stark: Er zeigt, wie leicht moralische Schuld entsteht, wenn man nicht handelt. Gleichzeitig entfaltet Boyne ein dichtes Zeitbild Irlands, von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart, mit all seinen religiösen Zwängen, gesellschaftlichen Tabus und Brüchen.
Allerdings hat der Roman auch Schwächen:
Stellenweise
verliert die Handlung spürbar an Spannung – besonders im mittleren
Teil, wenn Boyne zu sehr in Rückblenden und inneren Monologen verweilt.
Die Geschichte wirkt dann etwas zäh und wiederholt sich in ihren
moralischen Erkenntnissen.
Trotzdem bleibt Die Geschichte der Einsamkeit ein eindrucksvoll stiller, ehrlicher Roman über Schuld, Scham und Selbsttäuschung und zeigt, dass Einsamkeit oft aus dem Schweigen entsteht. Ein feinfühlig erzählter, moralisch komplexer Roman.
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