Lechner, Martin - Die Verwilderung

  Martin Lechners neuer Roman Die Verwilderung hat mich beim Lesen lecht verstört. Erzählt wird die Geschichte der jungen Marlies, die kurz vor dem Abitur steht und den Sommer bei ihrer Großmutter verbringen soll. Eigentlich soll sie herausfinden, ob sie das Haus erbt – doch viel entscheidender ist, dass sich ihre linke Hand in etwas Unheimliches verwandelt: eine Klaue, die nicht mehr zu ihr passt und sie zugleich definiert. Schon in dieser Grundidee steckt die ganze Kraft des Romans: das Groteske als Metapher für das Außenseitertum, für Scham und für die schmerzhafte Selbstwahrnehmung einer Heranwachsenden.

Sehr stark fand ich die Szenen mit der Großmutter. Hier prallen Generationen aufeinander: Lebensweisheit und Skurrilität, Härte und Wärme. Gerade dieser Generationskonflikt trägt viel dazu bei, dass der Roman nicht nur eine persönliche Geschichte bleibt, sondern auch gesellschaftliche Fragen aufwirft.

Ein zentrales Thema ist die Scham: Marlies schämt sich für ihre Noten, ihre Unsicherheit, ihre Klaue. Lechner beschreibt eindrücklich, wie Scham das Selbstbild deformieren kann.
 Lechner schreibt bildreich, manchmal fast überbordend. Er hat eine Lust an Metaphern, die die groteske Grundidee noch stärker wirken lässt. Seine Sprache wirkt dicht, und manchmal poetisch. An einigen Stellen verliert sich der Text in sprachlichen Schleifen, die die Handlung ins Stocken bringen.

Das führt auch zu einer Schwäche des Romans: Nicht alles ist immer stimmig. Manche surrealen Wendungen wirken überzogen, manche Szenen dehnen sich zu sehr. Wer einen klaren, linearen Erzählstrang erwartet, wird hier vermutlich ungeduldig.

Es ist ein Coming-of-Age-Roman, aber keiner der leichten Sorte. Er erzählt von Außenseitertum, Scham, Generationenkonflikten und dem mühsamen Weg zur Selbstakzeptanz.

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